Wenn einer geht - Nachruf für ein kleines, großartiges Pferd | Blog | Ramona Eisbach

Wenn einer geht - Nachruf für ein kleines, großartiges Pferd

26.05.2021

Im April mussten wir unseren treuen Freund, großen Kämpfer und eine echte Pferdepersönlichkeit mit stolzen 29 Jahren gehen lassen...

Jeder sagt von seinem Tier es sei das Tollste und Beste von allen. Das behaupte ich nicht.

 

Für mich warst du das außergewöhnlichste Pferd das ich bisher kennenlernen durfte. Nicht weil du in deiner Jugend ein gutes Turnierpferd und Enkel des großartigen Colonel Freckles warst. Nicht weil ich deine Reitbeteiligung war, sondern deshalb weil du dem Leben stets deine Zunge gezeigt hast.

Dein Lebenswille war schier grenzenlos. Selbst eine schleichende Erblindung, die dir vor vielen Jahren schließlich das gesamte Augenlicht nahm, konnte deinem sonnigen Gemüt nichts anhaben. Auch nicht der Spat, der dich eine Zeit lang beeinträchtigte. Immer hast du den Umständen getrotzt. Du erholtest dich und wolltest immer wieder mitarbeiten. Vor fast eineinhalb Jahren haben wir dich dann endgültig abgesattelt.

Du solltest deinen Lebensabend mit der akuten und miesen Arthrose so angenehm wie möglich verbringen. Spazierengehen und auf der Koppel grasen - das haben wir dir versprochen. Tag ein Tag aus sind wir mit dir an der Hand losgezogen und haben schon im Winter behutsam auf den Sommer hingearbeitet.

Noch gut drei Wochen vor deiner allerletzten Reise fand ich mich aufgelöst in deiner Box wieder. Ich wusste, dass ich mich für eine lange Zeit von dir verabschieden muss. Denn für mich begann etwas Neues. Viele Kilometer würden regelmäßige Besuche zukünftig unmöglich machen. Doch ich wollte so bald wie möglich wieder für ein paar Tage zu dir kommen. Das hatte ich so sehr gehofft.

Ich habe mir für dich einen schönen Sommer auf der Koppel gewünscht. Gut umsorgt von deiner Besitzerfamilie und unserer Stallbesitzerin. Unser letzter gemeinsamer Spaziergang an jenem Sonntag im März war doch so vielversprechend!

 

So manch einer wird sagen: „Es war doch nur ein Pferd.“ Ja, nur ein Pferd - aber ein echter Lehrmeister. Ob unter dem Sattel oder fürs Leben. Oft konnte ich einfach nur staunen - über dich und deinen Umgang mit deinem Handicap. Ich fragte mich dann, wer von uns eigentlich die größere körperliche Einschränkung hat. Manchmal kommt es mir vor, als seien diese unvergesslichen Erlebnisse erst gestern gewesen.

Ein vollständig blindes Pferd trug mich voller Vertrauen und Leichtigkeit durch einen Trailparcours. Deine Konzentration war vollkommen bei mir. Du hast ganz selbstverständlich mitgearbeitet und darauf vertraut, dass ich dich mit meinen Sitz- bzw. Stimmhilfen durch den Stangenwald leite.

Du warst einer meiner treuesten Freunde und ein stetiger Begleiter im schönen Tirol. An den schwierigen Tagen fand ich bei dir Trost.

Wenn ich traurig war, hast du oft vor mir gestanden, deinen Kopf an meinen gelegt und dich keinen Zentimeter vom Fleck gerührt. Auch den bevorstehenden Abschied konnte ich nicht vor dir verbergen: Da war meine Vorfreude auf das Neue und gleichzeitig die Traurigkeit über den Abschied von dir.

Durch dein freches und freundliches Wesen hast du uns oft zum Lachen gebracht. Noch heute muss ich manchmal schmunzeln. Über die Momente, in denen du dich plötzlich wie ein Dreijähriger benahmst, dich lautstark beschwertest, dass du einmal alleine mit uns in der Halle spazieren gehen musstest oder dein Futter nicht schnell genug serviert wurde. Deine Blindheit konnte dich nicht davon abhalten, auch mal aus deiner Box abzuhauen oder zuerst durch eine Tür gehen zu wollen. Natürlich kanntest du den Weg von früheren Zeiten (mit Augenlicht) und schrittest auf bekannten Pfaden behutsam aber selbstsicher voran. Für dich gab es eben keine Einschränkung.

Unsere Spaziergänge an den wunderschönen Bergsommerabenden begleitet von Grillenzirpen, deinem Hufgeklapper und frischem Heuduft in der Nase werden für mich immer in Erinnerung bleiben.

 

Stets warst du von einem tollen Team umgeben. Liebevolle Vorbesitzerinnen, die dich ausgebildet und dich später im Umgang mit deiner Blindheit unterstützt haben. Eine Stallbesitzerin, die sich achtundzwanzig Jahre bestens um dein Wohlergehen kümmerte und deine letzte Besitzerfamilie, die alles möglich machte, um dir einen schönen Lebensabend zu bescheren. Tivio, der dich ein Leben lang auf die Koppel und zu Turnieren begleitete. Ein echter Freund und Unterstützer zu Beginn deiner Erblindung.

Ich bedanke mich bei all diesen tollen Menschen, die immer für unseren „Colonel“ da waren und ihm zu dem Pferd gemacht haben, das er war.

Im Leben ist eben alles eine Frage der Perspektive. Du hattest die Richtige gewählt und es jeden Tag bewiesen. Deine Einzigartigkeit wurde vor ein paar Jahren sogar von Fernsehkameras eingefangen.

 

Nun müssen wir dich loslassen. Keine leichte Aufgabe.

Loslassen – wahrscheinlich eine der schwierigsten Herausforderungen im Leben. Ich glaube es gelingt, wenn wir all unsere Erfahrungen mitnehmen und sie als Teile von uns betrachten. Als Einzelteile, die uns zu einem Ganzen machen. Alles gehört zu uns. Die schönen und die weniger schönen Momente. Versöhnen wir uns mit dem was war. Denn Lebensenergie – und Lebenszeit ist kostbar. Wir haben immer die Wahl aus einer unvollkommenen Situation etwas Gutes zu machen. Das hat mich mein kleines Indianerpferd aus den Bergen des Stubaitals gelehrt.

Unser Leben ging weiter. Viele wunderbare neue Aufgaben warten auf mich. Doch manchmal holt mich die Erinnerung ein - an die schönen und an die herausfordernden Momente mit dir. Manchmal weine ich und manchmal muss ich schmunzeln. Danke, dass du mich ein Stück meines Weges begleitet hast.

 

Machs gut - kleines stolzes Indianerpferd Colonel O'lena, mein „Curni.“

Spaß bei den Anfängen im Trail beim Oktoberfest 2019

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